Firmen unter der Blogger-Lupe

Nachfolgend wie gestern angekündigt der vollständige Artikel aus der Aargauer Zeitung vom 7. Februar 2006:

Internet Blogger veröffentlichen im Web ihre Erfahrungen mit Firmen. Diese reagieren zuweilen ungebührlich – sind Weblogs die neue publizistische Macht?

von Daniel Bouhafs

«Nur mit einer Rechtsschutzversicherung würde ich es vielleicht wieder darauf ankommen lassen», meint der Blogger Sandro Feuillet, Herausgeber von «Ignoranz, dem Magazin gegen Ignoranz im Alltag». Und fügt hinzu: «Je nachdem würde ich den Artikel wieder löschen und die Sache einem grösseren Medienhaus delegieren.» Was war geschehen? Mit der Begründung, die APS Reinigungen stelle «keine Kopftücher» an, verweigerte deren Geschäftsführer einer eingebürgerten Mazedonierin die Stelle. Diese reichte eine Klage wegen Persönlichkeitsverletzung ein – und gewann. Feuillet griff den Fall auf, zitierte aus den Medien und reicherte seine Berichterstattung mit der Publikation der Kundenliste an, die er von der APS-Homepage übernommen hatte. Die Folgen seines Engagements: anonyme Drohungen. Zudem verlangte der Geschäftsführer der Reinigungsfirma die Löschung des Beitrages und klagte Feuillet wegen Ehrverletzung ein. Das Gericht ging gar nicht auf die Klage ein. Dennoch hat Sandro Feuillet den Text entfernt – aus Angst, wie er betont.

Da Publikationen im Web von allen einsehbare Veröffentlichungen sind, bergen sie stets justiziable Risiken. «Für Blogger gelten die gleichen berufsethischen Richtlinien wie für andere Medientätige», stellt Medienrechtlerin Regula Bähler klar. Bei schwerwiegenden Vorwürfen müsse die kritisierte Seite angehört werden. Dies tat Blogging Tom alias Thomas Brühwiler, der über Eypocard, einer Plastikkarte auf Guthabenbasis, bloggte. Werner Kuhn, Verwaltungsrat der Eypo AG, welche die Karte vermittelt, pochte aber auf die Löschung der Beiträge und drohte mit der juristischen Keule. Angestachelt zu seinen Recherchen wurde der Blogger zuvor durch ein deutsches Werbemail, in dem vollmundig stand: «Schweizer Kreditkarte für jedermann – ohne Schufa» (Bonitätsprüfung). Versichert wurde auch, dass für Eypocard eine Bewilligung der Eidgenössischen Bankenkommission (EBK) vorliege. Blogging Tom wandte sich an die Bankwächter. Diese beschieden ihm, dass die Eypo AG als Agentin keine herkömmliche Bank sei und somit auch keine Bewilligung beanspruchen dürfe.

Inzwischen ist Toms Blog in Sachen Eypo zum virtuellen Pranger der deutschsprachigen Blogosphäre avanciert, wo vorwiegend empörte Kunden ihre enervierenden Erfahrungen posten. Die vier Beiträge, die der Cyberabenteurer bisher zu dieser Causa verfasst hat, wurden allein auf seinem Web-Tagebuch über 300-mal kommentiert und teilweise verlinkt. Mit Folgen: Je mehr Verweise Blogger untereinander anlegen, umso höher rutschen sie in den Ergebnislisten der Suchmaschinen. Werner Kuhn, der dem Blogger mit Klagen gedroht hatte, wurde inzwischen einstimmig aus dem Verwaltungsrat der Firma abgewählt. Zu den Vorwürfen nimmt stattdessen Alexander Herr, Handelsbevollmächtigter der Eypo AG, Stellung: «Das explodierende Geschäft hat zu den Missständen geführt», sagt er.

Tom und Sandro sind die ersten helvetischen Blogger, die von Firmen massiv angegangen worden sind. Matthias Gutfeldt, der ein Blogverzeichnis (Blog.ch) führt, schätzt, dass die Druckversuche in dem Mass zunehmen wie die Anzahl Blogs und damit auch die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Zumindest auf dem publizistischen Radar der hiesigen Journaille sind sie aber noch kaum aufgetaucht. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Winterthurer Instituts für angewandte Medienforschung (IAM), die den Umgang von Journalisten mit dem Internet erforscht hat. «In Sachen Blogosphäre hinkt man hierzulande etwas hinterher», räumt Studienleiter Guido Keel ein. Das werde sich ändern, wenn mehr relevante Blogs auftauchen, glaubt Keel.

Firmen fürchten dagegen die neue Macht ihrer Kunden. Im Netz verbreiten sich negative Neuigkeiten rasant und können das Image einer Firma binnen kurzer Zeit zerstören. Deshalb lassen inzwischen viele Firmen Blogs beobachten, die sich mit ihrer Branche beschäftigen. Eine Spezialistin in diesem Bereich ist die PR-Agentur Peter Bütikofer und Company AG, die im Auftrag von Kunden weltweit die Blogosphäre ausspäht. «Wichtig ist, dass die publizierte Kritik gerechtfertigt ist sowie fundiert und sachlich vorgebracht wird», betont Online-Teamchef Daniel Joerg. Bei Blogging Tom, dessen «spannenden Thread» er durchgelesen hat, treffe dies zu.

Im Umgang mit Bloggern rät er zum offenen Dialog, der über das gleiche Medium erfolgt, über das die Kritik an die Firma getragen wurde. «So schafft es Transparenz; die Leser des entsprechenden Weblogs und die Öffentlichkeit können den Dialog mitverfolgen.» Einen solchen Austausch auf Augenhöhe pflegt die Kaffeehauskette Starbucks mit kalifornischen Bloggern, die das Angebot von Starbucks getestet hatten. In mehreren Shops bestellten sie den vom Unternehmen angepriesenen Fairtrade-Kaffee – und bekamen meist keinen. In dieser Situation klinkte sich das Unternehmen ein, entschuldigte sich dafür, dass das Marketingversprechen noch nicht überall eingehalten werden kann, und gelobte Besserung.

Das Einlassen auf einen Dialog kann aber auch zu einer Eigendynamik der Diskussion führen und somit zu einem Grad an Publizität führen, der für das Unternehmen nicht wünschbar ist. «Deshalb sollte die Entwicklung der Diskussion genau mitverfolgt werden. Vonseiten des Unternehmens muss immer wieder eine neue Abschätzung erfolgen», analysiert Joerg.

An dieser Stelle einen Dank an den Autor des obigen Artikels, Daniel Bouhafs, für seine Zustimmung zur Veröffentlichung des vollständigen Artikels.

PDF des Artikels

Links zu den genannten Postings hier im Blog:

9 Comments

  1. wmg 7.02.2006
  2. markus 7.02.2006
  3. lmb 7.02.2006
  4. Peter 7.02.2006
  5. Marco 7.02.2006
  6. JL 22.07.2007
  7. Konkurs-Verfügung gegen MAX Entertainment Group AG 12.09.2007
  8. Gregor 25.03.2008