Lässt Spotify die Musiker verarmen?

Immer und (fast) überall Musik hören, das ist das Versprechen des schwedischen Musikstreamingdienst Spotify, der diese Woche auch in der Schweiz gestartet ist. Gegen eine geringe Gebühr (oder Werbeeinblendungen) erhält der Nutzer Zugriff auf einen Musikpool von rund 15 Millionen Songs. Doch ist das, was für den Musikfan ein Schlaraffenland ist, auch für die Musiker gut? Die kritischen Stimmen gegenüber Streamingdiensten à la Spotify mehren sich. Der Grund dafür, wen wunderts, dürfte in den sinkenden Einnahmen liegen.

Auch wenn die Ausschüttungen an Musiker und Komponisten ein gutbehütetes Geheimnis der Musikbranche sind, dürfte klar sein, dass bei einem Streamingmodell weit weniger Geld in die Kassen der Künstler, als das zum Beispiel bei einem Download aus iTunes oder dem Kauf einer CD der Fall ist, gespült wird. Kein Wunder, denn selbst mit dem teuersten Abo erhält Spotify nur Fr. 12.95 pro Monat für unlimitiertes Musikhören von einem Abonnenten. Davon muss der Musikdienst neben seiner Technik (IT-Infrastruktur, Internetanbindung im Rechenzentrum etc.) auch die Löhne seiner Mitarbeiter und vieles mehr bezahlen. Offensichtlich, dass am Ende für den Künstler viel weniger pro gespieltem Song herausschaut, als das bei einer CD oder dem iTunes-Download der Fall wäre.

Einnahmen sinken dramatisch
Sehr gut veranschaulicht wird das mit der Grafik „How Much Do Music Artists Earn Online„, die sich zwar auf den britischen Markt und die hier veröffentlichten Zahlen bezieht, deren Zahlen hierzulande nicht gross anders sein dürften.


(Grafik-Ausschnitt von David McCandless‘ Selling Out / Information is beautiful)

Gemäss der Grafik erhält ein Künstler pro abgespieltem Song in Spotify gerade mal 0,00029 Dollar und seine Musik müsste 4’053’110 Mal pro Monat gespielt werden, damit Einnahmen von 1’160 Dollar resultieren. Im Vergleich mit einer CD (Einnahme pro CD 30 US-Cent, 3871 Verkäufe für 1’160 Dollar Einnahmen) wahrlich eine lächerliche Summe.

Alison Bonny, Mediensprecherin von Spotify, will die Zahlen der Grafik auf Anfrage zwar nicht kommentieren, legt aber Wert darauf, dass Spotify keine Streams, sondern den Zugang zu Musik verkaufe. Zudem stamme die Grafik beziehungsweise der Artikel vom April 2010, und seitdem habe sich sehr viel geändert in der Musikindustrie, so Bonny. Und weiter:

My main point I would like to make is that „Revenue per stream“ is a totally irrelevant metric when considering the value generated by Spotify. A focus on revenue per stream totally misses the point. The relevant metrics are: 1) how many people are being monetized by Spotify; 2) who these people are (usually young people previously on pirate services which generate nothing for artists and rightsholders); and 3) how much revenue per user Spotify generates for rightsholders.

Musik ist „beinahe wertlos“
Hingegen hält Frank Lenggenhager, Chef der Berner Promotionagentur Lautstark, den „revenue per Stream“ im Musikgeschnäft für nicht so irrelevant, wie ihn Bonny darstellt. Im Gegenteil: „Urheberrechtsgebühren werden ja letztlich auch per ‚Stream‘ bzw. ‚play‘ abgerechnet“, sagt Lenggenhager auf Anfrage. „Letztlich ist klar: Musik als Konsumgut ist in den letzten 20 Jahren massiv günstiger (Kritiker sagen ‚beinahe wertlos‘) geworden. Das war schon beim Schritt vom physischen Tonträger zum Download so und hat sich jetzt beim Schritt hin zum Stream nochmals verschärft.“

Auch das Argument von Spotify, dass man seit dem Start im Oktober 2008 mehr als 100 Millionen Euro an die Rechteinhaber abgeliefert habe, zieht für Lenggenhager nicht. Im Gegenteil:

Mit anderen Worten: Das sind ca 92’000$ pro Tag, die Spotify an die Urheber ausschüttet. Grob gerechnet dürfte die kleine Schweizer Musikindustrie mit ihren CD- und Download-Verkäufen derzeit vermutlich mehr Geld an die Urheber ausschütten als der Global Player Spotify weltweit.“

750’000 Streams für gerade mal 3’376 Dollar
In Grossbritannien hat diese Woche der Musikdistributor STHoldings beschlossen, die Musik aller 238 durch die Firma vertriebenen Labels von Streamingdiensten zurückzuziehen. Die Begründung lässt aufhorchen: Im dritten Quartal – dem ersten Quartal, in dem die Firma ihre Inhalte Musikstreamingdiensten zur Verfügung stellte – seien die Einnahmen aus iTunes-Verkäufen um 24 Prozent gefallen, während Spotify, Simfy, Rdio und Napster neu zwar für 82 Prozent der konsumierten Musik verantwortlich sind, aber nur 2,6 Prozent zum Quartalsumsatz beigetragen haben. Insgesamt habe man für 750’000 Streams im Quartal von Spotify gerade mal 3’376 US-Dollar (£ 2’500) erhalten. Century, eines der wichtigsten Metal-Labels weltweit, stösst ins gleiche Horn und begründete den Rückzug seines Portfolios von Spotify ebenfalls mit den geringen Einnahmen.

Auch Schweizer Künstler bleiben Spotify fern
Auch in der Schweiz wächst der Widerstand gegen Spotify und Co. Songs von Künstlern wie Polo Hofer, Züri West oder Stiller Has sucht man beispielsweise auf den Streaming-Plattformen vergebens. Den Grund dafür liefert Polo Hofer in einem Statement auf seiner Homepage:

Mit einer billigen, werbefinanzierten „all you can eat“-Strategie lässt sich vielleicht kurzfristig Geld in die Kassen der Industrie und IT-Anbieter spülen, die Musik als künstlerisches Werk wird dabei jedoch massiv abgewertet. Gleichzeitig fliesst nahezu nichts von diesen Einnahmen an die Künstler.

Quo vadis Musikstreaming?
Die Recherchen, die ich in den letzten Tagen zum Thema gemacht habe, haben mich aufhorchen lassen. Die Grundidee, gegen eine pauschale Gebühr Zugriff auf eine unglaublich grosse Musikpalette zu haben, ist einfach bestechend. Und so gab es in den letzten zehn Tagen, seit ich Spotify nutze, wohl keinen Tag, an dem ich mich nicht mit gestreamter Musik berieseln liess. Zu gross war die Versuchung, nach Musik aus meiner Jugend, nach Songs mit Erinnerungen zu suchen oder einfach neues zu entdecken. Etwas, was mit dem Download von Songs oder Alben ja so nicht möglich ist (und auch ziemlich teuer würde).

Und doch stellt sich mir die Frage: Sind Streamingdienste à la Spotify, zumindest mit ihrem jetzigen Geschäftsmodell, die Zukunft? Bequem, günstig und eine riesige Auswahl ist zwar ein Argument. Aber woher kommt der musikalische Nachschub, wenn die Künstler ihren Lebensunterhalt wegen der niedrigen Abgaben nicht mehr bestreiten können? Und was ist die Alternative zum jetzigen Geschäftsmodell der Anbieter? Fragen über Fragen…

18 Comments

  1. Andreas Von Gunten 19.11.2011
  2. Sascha Erni 19.11.2011
  3. Roger 19.11.2011
  4. Patrick Schnyder 19.11.2011
  5. Fabian Keller 20.11.2011
  6. oeschgi 20.11.2011
  7. BloggingTom 20.11.2011
  8. Fabian Keller 20.11.2011
  9. Chregu 20.11.2011
  10. Martin REchsteiner 21.11.2011
  11. Michael 21.11.2011
  12. Sascha Erni 22.11.2011
  13. Denise 22.11.2011
  14. mmemichi 29.11.2011
  15. Maria 10.02.2012
  16. Roger 11.02.2012
  17. Daniel 13.02.2012
  18. Musik Förderer 26.02.2013